#275 On The RecordWie bekommen wir ein digitales Curriculum, Linn Friedrichs?

Linn Friedrichs beschäftigt sich mit der Frage, welche digitalen Kompetenzen ein Bildungssystem vermitteln müsste, um Lernende auf die Zukunft vorzubereiten. Wir sprechen mit ihr darüber, wie ein digitales Curriculum aussehen müsste – und wie sich das System dafür verändern muss.

Linn Friedrichs setzt sich für mehr Digitalkompetenzen ein.
Linn Friedrichs setzt sich für mehr Digitalkompetenzen ein.

Linn Friedrichs arbeitet, lehrt und forscht zu globaler Bildung. Ob in ihrer Doktorarbeit oder auf ihren beruflichen Stationen an der New York University (NYU) in Berlin und am United World College (UWC) in der Nähe von Pune in Indien: Friedrichs beschäftigt sich mit der Entwicklung von Curricula. Dabei ging es immer um die Frage, welche Fähigkeiten wir in Zukunft benötigen werden und wie das Bildungssystem Lernende auf veränderte Rahmenbedingungen vorbereiten kann.


Besonders am Herzen liegen ihr Digitalkompetenzen (im Englischen treffender beschrieben mit „Digital Literacy“). Aber wie können diese im aktuellen Bildungssystem vermittelt werden? Und wie müsste dieses System dafür reformiert werden? Auf der vergangenen re:publica hat Linn Friedrichs dazu einen Vortrag gehalten. Um ihre Thesen und Ideen zu vertiefen, haben wir diesen Podcast aufgenommen.

Im ersten Teil sprechen wir über den Status Quo und die dahinter liegenden Prozesse: Wie und von wem werden Curricula überhaupt entwickelt und umgesetzt? Es geht aber auch darum, was die Aufgabe von Bildung ist und ob diese Aufgabe im traditionellen System ausreichend auf die Gegenwart und Zukunft vorbereitet. (Die wenig überraschende Antwort: nein. Das Bildungssystem ist wie ein Tanker, der gerade irgendwo im Suezkanal festgefahren ist.)

Vor allem wollen wir in diesem Podcast aber über die Zukunft sprechen und über die Fähigkeiten, die vermittelt werden müssen, um souverän auf die digitale Zukunft vorbereitet zu werden. Wie würde man das „from scratch“ neu bauen? Wie muss ein Bildungssystem aufgebaut sein, das alle mitnimmt und nicht im Gestern steckenbleibt? Und wer könnte so ein dafür notwendiges digitales Curriculum entwickeln?

In dieser Folge: Markus Beckedahl und Linn Friedrichs.
Produktion: Serafin Dinges.
Titelmusik: Trummerschlunk.

Hier ist die MP3 zum Download.

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Weiterführende Links zum Thema

Auswahl relevanter Beschlüsse und Richtlinien der Kultusministerkonferenz:

KMK-Strategie „Bildung in der digitalen Welt“

KMK: Kompetenzen in der digitalen Welt

Jahresbericht der Kultusministerkonferenz 2022 zur Bildung in der digitalen Welt

KMK: Standards für die Lehrerbildung: Bildungswissenschaften

Im Gespräch erwähnte Studien und Forderungen zu Lehrer*innenfortbildung:

Wie relevant ist die gesetzliche Fortbildungsverpflichtung für Lehrkräfte? Eine empirische Untersuchung zur Fortbildungsteilnahme in verschiedenen deutschen Bundesländern

Qualifizierung: Was macht gute Lehrerfortbildung aus?

DPhV und Fachverbände fordern von Politik deutlich mehr Engagement bei Lehrkräftefortbildung

Auswahl relevanter Modelle und Publikationen zu Digital- und Medienkompetenz:

re:publica 2023: Linn Friedrichs – What is the digital literacy curriculum we need?

EU-Kommission: Digital Competences Framework

JIM-Studie 2022

Stiftung Neue Verantwortung: „Quelle: Internet“? Digitale Nachrichten- und Informationskompetenzen der deutschen Bevölkerung im Test

Buch: Screen Teens

Im Gespräch referenzierte Initiativen und Ideen zur Transformation von Bildung:

#NeustartBildungJetzt

Table Media: Die Kralle des Bundes

Deeper Learning Initiative

Prüfungskultur.de

Schule im Aufbruch

Kompetenzverbund lernen:digital

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4 Ergänzungen

  1. In den Jahren des Wohlstands war vieles wichtiger als (Schul-)Bildung. Wenn (mit Geld) gefördert wurde, dann eher in Elitenförderung, ansonsten wurde das Etikett „Brennpunkt-Schule“ angeheftet wo es Probleme gab, die außerhalb des Bildungssystems wahrgenommen wurden.

    In Kitas, wo kein Curriculum herrscht, dafür aber oft eine selbst durch Konzeption auferlegte Qualitätssicherung, werden Kindern erfolgreich, teilweise sehr erfolgreich, Grundkompetenzen vermittelt, auch unter inklusiven Bedingungen oft sehr engagiert. Das Kindern innewohnende intrinsische Lernen wird gefördert.

    Die Freude am Lernen findet in der Schule oft ein rasches Ende. Warum?

    Mit der Schule kommen nicht nur Leistungsmessung sondern auch verengte Zeitfenster zur Aneignung eines fremdbestimmten Lernstoffs (Curriculum). Das ist vielfach (im Vergleich zu Kitas) nicht mehr Kind-gerechtes Lernen, was zum Erleben von Scheitern führt.

    Junge Menschen, die in der Schule weniger erfolgreich sind, suchen sich (intrinsisch und gerne) außerschulische Bereiche wo sie erfolgreich sein können, zur Kompensation.

    So ein Betätigungs- und Lernfeld konnte die Beschäftigung mit Computern sein, was letztlich selbstständig (ohne Lehrkräfte) erschlossen und erobert werden kann.

    Aber Schule schafft es auch in diesem Bereich, ihren Schülern auch das noch erfolgreich zu vermiesen.

  2. Es gab mal einen Deutschen Bildungsrat (1966 bis 1975), der Bedarfs- und Entwicklungspläne für das deutsche Bildungswesen entwerfen sollte. Es gab dringenden Reformbedarf und eine einfache wie geniale Empfehlung:

    Konzeptionell wurden wichtige Leitlinien entwickelt wie das Prinzip des Lernen Lernens sowie die Wissenschaftsorientierung des Lernens schon in der Grundschule. Die gab deutliche Impulse für die Entwicklung des Sachunterrichts als Fach.

    Die damalige Bildungsreformdebatte war heftig und bis heute sträuben sich konservative Kreise gegen jegliche pädagogischen Erkenntnisse, die aus dieser Zeit (68er) stammen. Schon damals wusste man mehr, als heute im Schulbetrieb eigentlich gekonnt sein müsste.

    Für interessierte Schüler, aber auch verzweifelnde Eltern möge dieser Link als Einstieg zur Selbsthilfe auf die Sprünge helfen:
    https://de.wikipedia.org/wiki/Lernen_lernen

  3. Was Kinder in den Schule und Erwachsene zuhause brauchen ist – einen Schraubendreher – und eine Grundkurs in elektronischer Schaltungslogik, um die Prinzipien der (seit 70 Jahren) genutzen Technologie zu erlernen – und ich spreche nicht von der Webstuhl-Lochkarten-Logik, obwohl die eigentlich auch ausreichen würde.

    Alle um einen Tisch versammeln, Laptop oder PC drauf und dann alles – Stück für Stück – auseinanderschrauben: das ist das Netzteil, da steckt die Festplatte mit allen Daten, hier der Speicher, dort der Prozessor, hier die Grafikkarte, da die Netzwerkkarte … das kann doch nicht so schwer sein – oder doch?!

    Seit über 30 Jahren beobachte ich dieses Elend an den Schulen – das mangelnde Interesse der Lehrer, die eh schon damit überfordert scheinen den Sonnenschutz nach unten zu kurbeln oder selbst ein Fenster aufzumachen, geschweige denn den Beamer zu verbinden. Whiteboards sind da wirklich Perlen vor die Säue, das kann man nicht anders sagen.

    Medienpädagogik in Deutschland ist ein einziger Krampf, weil immer das Thema Suchtpotential durch den Raum geschleift wird, noch bevor man überhaupt von den Potentialen der Technologie spricht, und wie dieses Potential – seit Anfang der Unterrichtseinheit – schon längst an der Schulen vorbeigezogen ist, ungesehen, ungehört.

    1979 NDR-KleinComputer
    1983 Commodore C64
    1984 auf der CeBit über 286’er PCs gelacht
    1987 Amiga500/2000
    1990 Commodore International geht Pleite und IBM überschemmt den Markt mit klobigen Kisten auf denen Windows 3.0 läuft. Wir sind also gerade 6 Jahre in die Vergangheit geworfen worden und keine Innovationskraft am Horizont erkennbare. Commodore ist nur noch Legacy.

    Der Rest ist eine Abfolge von technischer und geplanter Obsoleszenz, verklebte Gehäuse und geschlosse Geschäftsmodelle – nun also auch noch KI – wer versteht das denn jetzt, wenn nicht einmal jemand weiß warum wir heute 64-Bit Betriebssystem haben.
    Daher, Schraubendreher raus!

  4. Ich bin teilweise anderer Meinung, v.a. was das Curriculum betrifft. Erstmal sollten wir nicht übersehen, dass und Corona einen gewaltigen Schub im Bereich der Digitalisierung an Schulen gebracht hat. Die meisten Schulen haben nun Lernplattformen wie den Lernraum, es gibt Dienstgeräte für die Lehrkräfte, digitale Klassenbücher, Tablet-Sätze … Außerdem: die aktuelle Situation um ChatGPT zwingt Lehrkräfte, sich weiter in den digitalen Raum zu bewegen, einfach weil die SuS schon da sind und ihre Aufsätze dort abschreiben und das nicht nur zu Hause, sondern auch in der Abiturprüfung. Das heißt also, dass der Großteil des Kollegiums an Schulen sich ohnehin im Digitalen bewegen muss. Daher finde ich den Ansatz der KMK, ein fächerübergreifendes Curriculum zu erstellen auch absolut richtig. In allen Fächern muss recherchiert werden, in der Oberstufe werden in den meisten Fächern Aufsätze geschrieben; die Frage: „In welcher digitalen Welt wollen wir leben?“ lässt sich auch sehr gut im Ethikunterricht oder Politikunterricht stellen. Zusätzlich dazu sollte es meiner Meinung nach Projekttage/-wochen zu digitalen Themen geben und hier könnten gut externe Anbieter wie „Chaos macht Schule“, „Hacker School“… eingebunden werden. In manchen Schulen gibt es zusätzlich Informatik als Wahlpflichtfach unter dem Namen „digitale Welten“, der die von euch genannten Themengebiete abdeckt. Natürlich gibt es viele Probleme: Die Schulen machen die Kinderkrankheiten der Digitalisierung wie z.B. „digitale Hygiene“ (Nachrichten over flow, kein Interesse an Datenschutz etc.), die überall sonst vor 15 Jahren stattfanden, nun alle durch. Das ist anstrengend und frustrierend. Das kommt zusammen mit systemischen Problemen, die angegangen werden müssen: Es braucht externe Fachkräfte, die sich um eine digitale Infrastruktur an den Schulen kümmern. Das kann nicht dem Kollegium vor Ort überlassen werden. + Fortbildungen LuL

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